Konzept: Tim Sharp und Alfred Grubbauer
Die Ausstellung präsentiert Arbeiten von 16 bildenden Künstlerinnen und Künstlern, Filme, Videos, Fotografien, Zeichnungen, Ton und umspannt dabei einen Zeitraum von 1924 bis 2009. Sie ist eine kritische Betrachtung von Aspekten des Anderswo, des Reisens und von Beweggründen dafür. Sie beschäftigt sich also mit verschiedenen Narrationen des Reisens, solchen von Entdeckern bis hin zu Flüchtlingen, sowie mit der Funktion von Realem und Erfundenem in der Konstruktion des/r Anderen. Ebenso geht es um die Rolle der Medien in der Konstruktion und der Verbreitung von allgemeinen kulturellen Denkmustern in Verbindung zu diesen Themen.
Pavel Braila 105/7
Adrian Brunel Crossing the Great Sagrada
Andràs Duque Paralelo 10
Coco Fusco & Paula Heredia Couple in the Cage
diekönigin (Claudia Dworschak, Marion Geyer-Grois) Wilder Westen
Mahony Priest’s Cove
Rémy Markowitsch On Travel (Tristes Tropiques)
Christine Meisner was geworden ist
Lisl Ponger déjá vu
Reiner Riedler Fake Holidays
Tara Rodgers State to State Migration Flows
Christine Schörkhuber Syn-Etüden einer Geräuscherfahrung
Hans Schabus Der Passagier
Ernst Strouhal Robinson Crusoe Bücher
Sikay Tang Ph/r/ases
Reisen ist nicht nur eine Frage der physischen Bewegung von einem Ort zum anderen, sondern auch ein Akt, der Bedeutung generiert und etabliert. Er bewirkt Verschiebungen von realen und mentalen Grenzen, kulturellen, wirtschaftlichen, militärischen oder religiösen. Die Ausstellung versucht einige dieser Mechanismen und Strukturen aufzuzeigen.
Der Roman Robinson Crusoe (1719) von Daniel Defoe, den schon so unterschiedliche Personen wie Karl Marx und James Joyce analysiert haben, bietet das lose konzeptionelle Zentrum der Ausstellung.
Obwohl dieses Buch schon fast dreihundert Jahre alt ist, gibt es darin Haltungen und Positionen, die in unserer Gesellschaft immer noch umstritten sind (wie Migration oder Rassismus). Die Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich kritisch mit diesen und anderen Fragen, mit Reisen in allen seinen Formen, freiwilligen und unfreiwilligen und daher auch mit realer und imaginärer Geographie und den veränderlichen Faktoren von Bildproduktion.
Robinson Crusoe gibt es in hunderten von verschiedenen Ausgaben in fast jeder Sprache (einschließlich Inuit). Bilder, in Form von Illustrationen waren fast von Beginn an ein wesentlicher Teil der Geschichte. Auf Grund der Popularität des Buches und seiner Interpretationen sind über die Jahrhunderte nicht nur gedruckte Ausgaben aller Art erschienen, repräsentative Editionen, Geschenkausgaben und Comic-Versionen, sondern auch eine große Menge von wissenschaftlichen Texten. Das Buch wurde auch für jedes jeweils neue Medium adaptiert, es gibt Diaserien für Schulen sowie Stumm- und Tonfilme aller Genres. Die Bücher in der Ausstellung sind Leihgaben von Ernst Strouhal und Lisl Ponger.
Rémy Markowitsch: On Travel: „On Travel: Tristes Tropiques“ (2004)
Der Wunsch Abbildungen der Welt zu sammeln (in Fotos und Filmen) und damit unsere Präsenz aufzuzeichnen ist verlockend und tief greifend, wie das Amateur found footage Material in Lisl Pongers Film déjá vu oder die ethnologischen Fotografien in Rémy Markowitschs Fotoarbeit On Travel (Tristes Tropiques) zeigen.
[Courtesy: Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin; ©„On Travel: Tristes Tropiques“: Rémy Markowitsch, 2004; © Claude Lévi-Strauss, …in „Tristes Tropiques“ ]
Robinsons schiffsbrüchige Existenz ist ein besonderer Fall und sein Freisein von sozialer Verantwortung und Sorge auf einer tropischen Insel, ist ein Bild, ein Traum, der einen speziellen Platz in unserer Vorstellung einnimmt. Nicht nur versucht man uns damit Schokolade überzogene Kokosnüsse oder exotische Ferien zu verkaufen, er ist auch der Ausgangspunkt für Serien wie Das Traumschiff. Dieses Bild ist so allgegenwärtig, dass wir versuchen es zu replizieren, wo immer wir sind, einschließlich zu Hause, wie Reiner Riedler in Fake Holidays zeigt.
Christine Meisner:
Defoe hatte, zusammen mit Jonathan Swift, dem Autor des berühmten Buches Gullivers Reisen, Minister Robert Harleys Gründung der Südseegesellschaft (1711) per Parlamentsgesetz unterstützt. Dieses Unternehmen ist hauptsächlich für die Privatisierung von ungesicherten öffentlichen Schulden bekannt und für die „Blase“, die durch die weit verbreitete Spekulation mit seinen Aktien, mit Insiderhandel und Medienmanipulation entstanden ist. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Gesellschaft exklusive Rechte für den Sklavenhandel zwischen Afrika und den Spanischen Kolonien hatte, den sie auch nachdem die „Blase“ geplatzt war, mit Profit weiterführte. Es ist daher auch kein Zufall, dass Robinson auf einer Reise, die dem Kauf von Sklaven diente, Schiffbruch erlitt; weder Reisebücher noch Reisebilder sind so unschuldig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.
Die dunklere Seite des Reisens ist Inhalt einiger Arbeiten der Ausstellung. Christine Meisners Arbeit was geworden ist, die von der Komplexität von Sklaverei und Rückkehr, von hybriden Identitäten und Dislokation handelt, die Videoarbeit Wilder Westen von diekönigin, die auf Österreich als Ziel für junge Mädchen aus ex-kommunistischen Länder verweist, die betrogen und in die heutige weiße Sklaverei gezwungen wurden, und das Video The Couple in the Cage von Coco Fusco & Paula Heredia, das den Begriff des Exotischen, der Wildheit („savage“) als kulturelle Kolonisierung behandelt, sind Beispiele dafür.
Coco Fusco, Paula Heredia:
Pavel Braila verbindet in 105/7 die körperliche Erfahrung von Reisen und Arbeitsmigration mit der archetypischen filmischen Situation des Zugfahrens.
Ein Zug spielt auch eine zentrale Rolle in Hans Schabus’ Video Der Passagier. In dieser Arbeit werden die Betrachter/innen zu sprichwörtlichen Lehnstuhlreisenden und Passagieren, während sie die Radikalität skulpturaler Veränderungen der Umwelt, (in kleinerem Maßstab) reproduziert, die durch die Eisenbahn in der Landschaft des neunzehnten Jahrhunderts entstand.
Tara Rodgers’ State to State Migration Flows verwendet statistisches Rohmaterial über zwischenstaatliche Migration für eine akustische Reise, die visuelle Komponente suggeriert vorbeiziehende, weiße Mittellinien von Straßen.
Christine Schörkhuber:
Christine Schörkhuber erforscht in Syn – Etüden einer Geräuscherfahrung die Rhythmen des ständigen Hin und Her an den „Unplätzen“ moderner Flughäfen.
Robinson Crusoe ist ein dichterisches Werk, aber seine Wurzeln liegen in realen Berichten von Schiffsbrüchigen und Ausgesetzten. András Duques dokumentarische Arbeit Paralelo 10 erkundet den Kreuzpunkt zwischen persönlicher Geomantie und den Fakten der Außenwelt. Die Betrachter/innen werden auf die eigenen vorgefassten, persönlich und kulturell geprägten Rahmen von Wahrnehmung und Ort aufmerksam gemacht.
Priest’s Cove von Mahony, ein Teil des größeren Odyssee 500 Projekts, ist ein Narrativ einer kleinen, aber nachhallenden Reise in die Tiefen der Erde statt über ihre Oberfläche.
Einer der aufschlussreichsten Aspekte der Robinsonerzählung ist dessen Begegnung mit Personen aus einer anderen Kultur. Anfangs befindet sich Robinson in einer moralischen Zwickmühle, soll er die Kannibalen töten oder nicht, schlussendlich aber siegt der Glaube an die moralische überlegenheit seiner Position. Freitag erlernt (gebrochen) Englisch, als nur halb der Sprache mächtig wird er in dem Buch dargestellt und so ein weiterer Teil der Machtdifferenz zwischen Robinson und ihm angesprochen. Sikay Tangs Film Ph/r/ases beschäftigt sich mit diesem Aspekt an Hand eines fiktiven Sprachunterrichts so wie Lisl Pongers Film déjá vu, dessen viele verschiedenen Sprachen nicht untertitelt werden.
Rémy Markowitsch verweist auf inhärente Probleme bei der übersetzung von Kulturen in (illustrierte) Texte in seinen „Doppelbelichtungen“. On Travel (Tristes Tropiques) ist ebenfalls ein Teil dieses Diskurses.
Adrian Brunel`s Crossing the Great Sagrada ist eine der frühesten Reisepersiflagen. Er parodiert darin Expeditionsstereotypen und vermischt Orte mit sichtlichem Vergnügen.