ICH FüR MEINEN TEIL
kuratiert von Pia Schauenburg und Gregor Graf
mit Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler Amel Andessner (Linz), Charles Kaltenbacher (Wien), Katharina Lackner (Linz), Marion Habringer (Berlin), Jan Machacek (Wien), Stephanie Mold (Linz/Wien), Martin Music (Linz/Wien), Marcin Gajewski (NL/London) und Elfi Sonnberger (Linz).
In der Ausstellung „Ich für meinen Teil“ versammeln Pia Schauenburg und Gregor Graf Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, welche sich mit dem Körper als Medium ebenso wie mit der Medialisierung von Körperlichkeit beschäftigen. Durch Kontextualisierung, Narrativierung, Verzerrung, Verschiebung, Rotation, Fragmentierung und subversive Aneignung wird mit alltäglichen Wahrnehmungs- und Repräsentationsmustern von physischer und psychischer Körperlichkeit gebrochen. Video, Film und Fotografie werden dabei experimentell und spielerisch eingesetzt, um die Grenzen von Realität und Inszenierung, Präsenz und Absenz, Identität und Alterität, sowie von unmittelbarer subjektiver Erfahrung und dokumentarischer Vermittlung zu hinterfragen.
Amel Andessner: Interview mit Mirko (Video 2007)
Ein kritisches Betrachten seiner Umwelt und das Aufbrechen der gesellschaftlich genormten Verhaltensstrukturen durch minimale, unauffällige Eingriffe und öffentliche Aktionen hat in den Performances von Charles Kaltenbacher bereits eine längere Geschichte. Wie die Fotografie „First Performance“ zeigt, reicht diese sogar bis in seine Kindheit zurück: auf dem Klassenfoto aus dem Jahr 1958 hatte sich der damals 8-jährige Kaltenbacher als einziger der Konvention des Krawattetragens widersetzt. In seinen späteren Arbeiten spielt der Künstler auf Vorstellungen und Ideale des männlichen Körpers an und persifliert diese als Kostüm und Maskerade, wenn er zum Beispiel für „König und Kreatur“ in einem „Muskelanzug“ vor dem Justizplatz in Wien als Ort der Macht und Entscheidung posiert.
Auch Amel Andessner setzt in ihren „Realityperformances“ den Körper als ein Medium ein, wodurch sie verschiedene Rollen und unterschiedliche geschlechtliche Identitäten annehmen kann. Seit 2005 nimmt Andessners männliches Alter Ego „Mirko“ an der Realität des Lebens Teil – er geht Abends aus, besucht Ausstellungseröffnungen, Shows oder Modewettbewerbe. Das Spiel mit den Grenzen zwischen echter und konstruierter Identität findet seinen Höhepunkt und eine Umkehr in dem Video „Interview mit Mirko“, wo „Amel“ zum künstlich erschaffenen Alter ego und zur Drag Queen-Rolle von Mirko wird. Die mediale Vermittlung der Auftritte von „Mirko“ oder „Amel“ durch die Videokamera verstärkt den verwirrenden Wechsel zwischen Inszenierung und Authentizität zusätzlich.
Marcin Gajewski: marcin gajewski (ongoing photography/video based project 2003-2007)
Marcin Gajewski hat sich für ein seit 2003 laufendes Video- und Fotoprojekt ebenso eine zweite Identität zugelegt und zwar in Form eines Zwillingsbruders. Mit dem „Anderen“ als Spiegelbild und bessere Kopie des Selbst können Aufgaben und Funktionen geteilt und somit erleichtert werden. Die Fotoserie, welche zeigt, wie die Brüder gemeinsam eine Ausstellung entwickeln, hat dabei dokumentarischen und alltäglichen Charakter, so dass der Fiktion der Geschichte eine seltsame Lebendigkeit und Plausibilität verliehen wird.
Katharina Lackner: Durchdrehen/Spinning (Video 2007)
Während bei Andessner und Gajewski der Körper in eine andere Identität verkehrt wird, kehrt Katharina Lackner ihren Körper selbst als Form und Einheit um. In ihren Videos erhalten die bewegten Körperteile durch den Einsatz von rückwärts abgespielten oder digital gedrehten Sequenzen, Ausschnitt und Perspektive, sowie durch die direkte Manipulation der Monitore, völlig neuen Charakter und sie führen unübliche bis logisch nicht nachvollziehbare Bewegungen aus. Die kleinen Eingriffe lassen das gewohnte Körperbild ins Kippen geraten. Allein durch die Variation der formalen Rahmenbedingungen wird eine zauberhafte und spielerische Parallelwelt erschaffen.
Jan Machacek: am apparat (Video 2003)
Jan Machacek lädt ebenso zu einem Perspektivwechsel in Bezug auf seinen Körper ein. In seinen Live-Video-Performances „am apparat“ werden Aktionen, die mit Requisiten wie einem Reflexhammer, Hotpants oder einer Glaskugel hinter einer Leinwand stattfinden, als verzerrte digitale Bilder ebenso wie als Schatten unmittelbar projiziert. Da performative Improvisation und mediale Bearbeitung zum gleichen Zeitpunkt stattfinden, ist die Videokamera nicht nur poetische Vermittlerin sondern auch konstitutives Element. Die Leinwand ist als elastisches Verbindungsglied zwischen Performer und Publikum geschaltet. In der Vielfalt und Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Medien und der Gleichsetzung des Ortes der Aufführung mit jenem der Aufzeichnung werden Fragen nach der Reproduzierbarkeit des Körperbildes und von subjektiven Stimmungen, nach der Wiedergabe „in Echtzeit“ und den Möglichkeiten der technologischen Erweiterung des menschlichen Körpers aufgeworfen.
Marion Habringer: Heulk(r)ämpfe (Videoperformance 2002)
Um die Grenzen ihres Körpers auszutesten, erfindet Marion Habringer eigene Apparaturen und Maschinen. Für ihre Videoperformance „Heulkrämpfe“ hat sie neun unterschiedliche Methoden entwickelt, um auf rein physischem Wege zum Weinen gebracht zu werden. In ihren Versuchsanordnungen soll der Tränenfluss durch Manipulation und Reizung der Augen und abseits von jeder emotionalen Aufladung ausgelöst werden. Die extreme Inszenierung einer natürlichen physischen Reaktion lässt den Körper letztlich selbst wie eine funktionelle Maschine erscheinen.
Elfi Sonnberger: Scratching (Film 2008)
Ähnlich gewaltsame Angriffe auf den eigenen Körper zeigt der Film „Scratching“ von Elfi Sonnberger. Das Thema des Ritzens, Einschneidens und Verletzens des Körpers wurde direkt auf das Medium des Films selbst übertragen. Durch die Beschädigung des 16mm Streifens wird jedes erneute Abspielen zu einem Akt der Selbstverstümmelung, der den unaufhaltsamen Zerstörungsprozess des „Filmkörpers“ durch Abnutzung immer weiter vorantreibt.
Stephanie Mold: Ok Water (Text, Polaroids, Wandzeichnung 2004)
Stephanie Mold wiederum macht aus ihrem Körper selbst einen Bildträger, auf welchen sich wie auf einem Filmstreifen die Geschichte einer Reise mit dem Schiff auf der Donau eingeschrieben hat, welche sie von Linz bis zum schwarzen Meer führte. Molds Tätowierungen aus acht Städten erzählen nicht nur von den einzelnen Stationen der Fahrt, sondern stehen auch für ein ausgelebtes Begehren nach dem Ausbrechen aus gewohnten Konventionen und der Sicherheit des täglichen Lebens. Obwohl gesellschaftlich weit verbreitet, ist die Tätowierung immer noch ein Symbol für Verwegenheit, Mut und Risiko. Die Künstlerin führt vor Augen, dass der Körper ein Ort der Narration der persönlichen Lebensgeschichte ist.
Auch Martin Music zeigt, wie die individuellen Lebensumstände den Körper „prägen“ können. Die ironische Geste, sich das Logo des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur auf den Hintern zu schreiben, wird ernst, wenn dieses als Tätowierung quasi unwiderruflich und mit Schmerzen verbunden am Körper fixiert wurde. Es geht nicht nur darum, den Kunstbetrieb als marktwirtschaftliches System zu entzaubern – die Abhängigkeit des freischaffenden Künstlers von Förderungen und Subventionen erweist sich letztlich sogar als eine notwendige körperliche Unterwerfung unter die „Stempel“ ebendieses Systems.
In der Ausstellung „Ich für meinen Teil“ zeigen die Künstlerinnen und Künstler, dass der Körper ein Medium des Kontaktes zu und des Eingreifens in die umgebende Welt ist und man dabei gleichzeitig nicht vor umgekehrten Eingriffen in die eigene körperliche Einheit geschützt ist. Die Reaktionen beim Betrachten der gezeigten Arbeiten sind daher oft selbst durchaus körperlicher Natur: Empathisch gefühlter Schmerz, Lachen über die eigene Verwirrtheit oder ein gedankliches Schwindeligwerden aufgrund der Bilder oder Situationen lassen dabei die Begrenztheit aber auch die Möglichkeiten unserer Sinne bei der Wahrnehmung und Interpretation der „Realität“ spürbar werden.
Text von Elisabeth Fritz